25 Jahre Textwelt, 25 Jahre Redaktion und Lektorat im Bereich der Mathematik-Bildungsmedien – das will mit den Menschen, die mich und meine Arbeit schätzen, gefeiert werden. Doch dazu zuerst ein Rückblick. Immer wieder werde ich gefragt: „Als Lektorin für Mathebücher musst du sicher viel lesen und alle Kommaregeln kennen – und dann auch noch alles selbst nachrechnen?!“ Die schnelle Antwort lautet: „Meine Aufgaben gehen sehr viel weiter als Rechtschreibung und Nachrechnen.“ Wer an einer ausführliche Antwort interessiert ist, dem erzähle ich gerne mehr über meine Arbeit.
Mehr als lesen, rechnen, Komma setzen!
Dass ich mich mit der jeweils aktuellen oder vom Verlag gewünschten Rechtschreibung auskenne und weiß, wann ich ein Komma oder eine Groß- oder Kleinschreibung überprüfen muss, und dass ich mit rechten Winkeln, Dreiecken, Pyramiden, mit Formeln, Gleichungen und Funktionen umzugehen weiß, das sind selbstverständliche Grundlagen meiner Arbeit. Dank meines Studiums für Mathe-Lehramt mit anschließender Promotion in Sprachwissenschaft bringe ich diese Grundlagen mit und überprüfe und festige sie durch Fortbildungen und den Austausch mit Kolleginnen und Kollegen aus dem VFLL. In einem Rechtschreibworkshop Lösungen für knifflige Satzkonstruktionen zu diskutieren, das macht mir immer wieder Spaß!
„Hunderte von Fahrrädern!“
Eindrückliche Erfahrung zu Beginn meiner Freiberuflichkeit: Bei der Arbeit an den Bänden des bärig-vierbändigen Grundschulwerks „multi“ von Konkordia/BV EINS mit den Bären Lu und Luisa hatte ich die Einstiegsseite zu Klasse 4 vor mir liegen (damals noch auf Papier?!), und zwar eine Seite über das „Hochseeabenteuer Helgoland“. Die Viertklässler sollten im Unterricht nach den Sommerferien das im Vorjahr Gelernte anwenden und dazu Uhrzeiten und Urlaubskosten berechnen, Meter in Kilometer umrechnen und auf einem Inselplan Wege auf der „Düne“, der kleinen Nachbarinsel von Helgoland, beschreiben.
Im Manuskript las ich: „Es gab keine Autos … dafür Hunderte von Fahrrädern!“ Bei meinen Recherchen über die Anreise nach Helgoland stieß ich auf Ungereimtheiten, die mir sonderbar erschienen, u. a. die Angabe „Hunderte von Fahrrädern“. Meine Suche im Internet führte mich zu § 50 der Straßenverkehrsordnung:
Sonderregelung für die Insel Helgoland
https://www.gesetze-im-internet.de/stvo_2013/__50.html (Abruf am 27. Aug. 2025)
Auf der Insel Helgoland sind der Verkehr mit Kraftfahrzeugen und das Radfahren verboten.
Auch Nachfragen im Touristenbüro von Helgoland bestätigten: „Auf Helgoland gibt es keine Fahrräder. Außerdem ist die Insel viel zu klein, da lohnen sich nicht mal Fahrräder.“
Ich beschrieb der Autorin den Widerspruch zwischen ihrem Text und der Fahrrad-Sonderregelung für Helgoland und erfuhr, dass sie beim Verfassen des Textes ihren Urlaub auf einer Ostseeinsel nach Helgoland verlegt hatte, ohne selbst Helgoland besucht zu haben. Wir kamen überein, den Text so zu korrigieren, dass auch Schülerinnen und Schüler in Süddeutschland, für die das Werk bestimmt war, eine korrekte Beschreibung von der Ankunft auf Helgoland bekämen:

„Es gab keine Autos, keinen Zug, nicht einmal Fahrräder!“
multi Mathematik 4. Schülerbuch mit Beilagen. Baden-Württemberg: Neubearbeitung Bildungsstandard 4; Hrsg. Günter Hagmaier, Doris Simon. 2006, KONKORDIA im Bildungsverlag EINS, Troisdorf, S. 2.
Mehr als Rechtschreibung und Nachrechnen
Die Helgoländer Fahrrad-Sonderregelung blieb mir eindrücklich in Erinnerung, auch wenn es später immer wieder andere, aber doch ähnliche Fälle gab. Von nun an hatte ich immer eine Antwort parat auf die Frage nach meiner Arbeit: Als Lektorin/Redakteurin überprüfe ich das, was mir sonderbar, auffällig oder fehlerhaft erscheint, decke Ungereimtheiten auf, überprüfe die Fakten, recherchiere und suche im Gespräch mit dem Autor oder der Autorin nach einer korrekten Formulierung. Kurz:
Als Lektorin …
- lese ich aufmerksam und folge dem Gedankengang im Text,
- überprüfe ich und frage nach,
- schlage Umformulierungen vor
- argumentiere und rede mit dem Autor bzw. der Autorin
- und sorge für miteinander abgestimmte passende Formulierungen.
… begeistert
Ich genieße es, durch die Texte immer wieder andere Ansätze und Methoden für den Mathematikunterricht kennenzulernen. Mein Anliegen ist es, dafür zu sorgen, dass die Schülerinnen und Schüler verständliche Texte bekommen, mit denen sie im Matheunterricht gut klarkommen, etwas lernen und verstehen. Es ist für mich immer wieder spannend, ein neues Manuskript zu öffnen, mich einzulesen und dem Gedankengang des Autors, der Autorin zu folgen und dabei auf mögliche „Fahrräder auf Helgoland“ zu achten.
… und gut vernetzt
25 Jahre Textwelt, das bedeutet auch 25 Jahre Mitgliedschaft im VFLL, im Verband der Freien Lektorinnen und Lektoren. Dank des Austauschs mit VFLL-Kolleginnen und -Kollegen gleich zu Beginn meiner Freiberuflichkeit vor 25 Jahren fand ich meinen Platz in der Verlagswelt: mit dem Staatsexamen für das Lehramt an Gymnasien für Mathematik und Französisch und meinen Erfahrungen als Lektorin in einem kleinen Computerbuchverlag war es naheliegend, dass ich mich um Aufträge im Bereich der Mathematik-Bildungsmedien bemühte und ich so von Auftraggebern, die jemanden mit meinem Spezialgebiet suchten, gefunden wurde.

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Es darf gefeiert werden!
Mein persönliches 25-Jahre-Textwelt-Jubiläum habe ich bereits gefeiert – ihr ahnt es schon: auf Helgoland! Endlich sah ich zusammen mit Stefan, meinem geliebten Begleiter über all die Jahre hinweg, die Insel mit eigenen Augen. Ich genoss die – wetterbedingt zweimal verschobene – Anfahrt von Hamburg nach Helgoland, die Ankunft im Unterland und den Aufstieg aufs Oberland, den Klang der Glocken von der nahe gelegenen Kirche Sankt Nicolai, den Wind, die Sonne und den Blick übers Meer, die Wellen am Nordstrand der Düne und die Spaziergänge zu den Basstölpeln am Klippenrand und dem Licht des Leuchtturms bei der Rückkehr.
… und das alles ohne Fahrrad!
Wer mag, stelle sich nach dem Lesen meiner Geschichte ein Gläschen mit Sekt, Wasser oder Wein bereit und stoße mit mir an.
Lasst mich eure Gläser klingen hören!



