Korbinian und der Bär: „Was hattest du denn erwartet?!“

Man kann die aktuelle Ausstellung „Tassilo, Korbinian und der Bär“ im Freisinger Diözesanmuseum sicher unter ganz unterschiedlichen Blickwinkeln besuchen und erleben. Für manchen – genauer: für manche Besucherin – mag sie irritierend und sehr verwirrend sein:  Sie regt dazu an, die Geschichte und die Geschichten um den Freisinger Stadtpatron Korbinian genauer zu betrachten und dazu Fragen zu stellen.

Wer neu nach Freising kommt, hört hier vielleicht zum ersten Mal den Namen „Korbinian“. Doch schnell erfährt man mehr über den Heiligen Korbinian, der im Jahr 724 nach Freising gekommen sein soll und dessen Ankunft in Freising im Jahr 2024 in der Stadt und im Bistum als Stadtjubiläum bzw. als Bistumsjubiläum des Erzbistums München und Freising gefeiert wird. Die 1300-Jahr-Feier ist nicht zu übersehen, denn an allen Ecken und Enden der Stadt wird man mit Abbildungen und Feierlichkeiten rund um Korbinian begrüßt. Man mag sich fragen, ob neben Korbinian und dem Bären auch Platz ist für anderes, das zeigt, dass Freising auch offen ist für Neues.

Korbinian und der Bär

Was aber hat es auf sich mit Korbinian und seinem Bären, die man zusammen auf den Bildern immer eng miteinander verbunden sieht – man denkt dabei an den Heiligen Franziskus, der so freundlich mit den Tieren sprach. Ja, freundlich mag das Bild von Korbinian und Bär wirken, doch ganz so friedlich wird das Zähmen des Bären, der Korbinians Pferd auf dem Weg nach Rom angefallen hatte und von Korbinian gezähmt wurde, wohl nicht gewesen sein.

Das bisher so freundlich wirkende Bild von Korbinian verblasst jedoch, wenn man von einer anderen Legende um Korbinian erfährt: eine Geschichte, die – als animiertes Gemälde – die Besucherin beim Betreten der Ausstellung empfängt, oder sollte man sagen: überfällt. Wenn man auf den Eingang zur Ausstellung zugeht, sieht man direkt auf die Szene, man kann ihr nicht entgehen.

Korbinian, die Frau und die Peitsche

Eine „Zauberin“, hat – so ist in der Darstellung zu lesen – den Sohn der Herzogin geheilt. Erbost über „solch unchristliche Praktiken“ schlug Korbinian mit der Peitsche auf die Frau, die „Giftmischerin“, ein. Im Freisinger Dom sieht man diese Szene als Deckengemälde, und in der Ausstellung wird dieses Bild gezeigt, wobei Korbinians Arm sich in einer Animation auf- und abbewegt und auf den Körper der vor ihm auf dem Boden liegenden Frau einschlägt.

Missionieren mit einer Peitsche, nicht mit überzeugenden Worten? Das ist nun doch irritierend und aufwühlend für die Besucherin. Die Fragen überschlagen sich:

  • Ist diese Darstellung zu Beginn der Ausstellung provozierend gemeint? Wenn ja: Wozu?
  • Muss die Ausstellung die Besucher*innen unbedingt mit dieser szene empfangen? Wäre das Wasserwunder nicht auch ein möglicher, und zwar: freundlicher, Empfang gewesen?
  • Was wurde früher, was wird heute den Menschen – vor allem: den Frauen oder auch Kindern – mit diesem Bild vermittelt?
  • Wer war diese Frau, wieso konnte sie heilen? Und wieso hat Korbinian sie so heftig bekämpft?
  • Wie kann man Heilen als unchristliche Praktik ansehen?
  • Kann man das Auspeitschen einer am Boden liegenden Frau als eine christliche Handlung betrachten? Wie lässt sich das Kindern erklären?
  • Steht Korbinians Zorn in Verbindung mit seinem Machtkampf mit Pilitrud, der Frau des Herzogs, dessen Sohn geheilt wurde? Wollte Korbinian verhindern, dass Pilitruds Sohn gesund wird?
  • Die Geschenke für die Heilung nahm Korbinian der Legende nach der Heilerin weg und verteilte sie an Arme – eine wahrhaft freundliche Geste Korbinians gegenüber den Armen der Stadt, aber dennoch die Frage: Verteilen von etwas, das er einer anderen geraubt hatte – wie lässt sich das rechtfertigen?

Frauen zählen …

Nach dem eindrücklichen Empfang mit Korbinian und seiner Peitsche sucht die Besucherin in der Ausstellung nach weiteren Frauen: Wie sind die Frauen dargestellt, falls es denn überhaupt Frauen gibt, in dieser Geschichte der mächtigen Männer?

Sie beginnt, Frauen zu suchen, Frauen zu zählen …

  • Die erste Frau in der Ausstellung ist die von Korbinian ausgepeitschte, am Boden liegende „Hexe“.  
  • Als zweite Frau entdeckt die Besucherin die Herzogsschwester Uta, aufgeführt im Stammbaum neben ihren Brüdern, sie als einzige ohne Sterbedatum. Über sie erfährt man, dass sie als unverheiratete Frau schwanger war und letztendlich (hier kürzen wir die Geschichte ab) zur Heiligsprechung des Regensburger Bischofs Emmeram beigetragen hat. Mit der Geschichte um Uta bekam Regensburg seinen Heiligen Emmeram – und Uta entschwindet aus der Geschichte. 
  • Die dritte Frau in der Ausstellung ist Liutpirc  bzw Liutberga. Mit ihrem Mann Tassilo ist Liutberga auf dem kunst- und wertvollen Tassilo-Kelch, der in der Ausstellung zu sehen ist, verewigt. Im Machtkampf zwischen Tassilo und Karl dem Großen wurde Liutberga mit ihrem Mann und ihren Kindern verurteilt und hinter Klostermauern verbannt, wo sie bald gestorben ist.
  • Eine letzte Frau, bzw. den Hinweis auf eine Frau, findet die Besucherin bei den ausgestellten Gegenständen: bei einem Damensattel. Man erfährt, dass der Sattel bei Ausgrabungen in der Nähe von Erding gefunden wurde und zu den Grabbeigaben einer Frau gehört habe. Wenigstens eine Frau, die Werstschätzung empfangenhat.

Eingebettet ist die Ausstellung „Tassilo, Korbinian und der Bär“ in die Sonderausstellung „Männer Macht Geschichten“. Verwundert stellt die Besucherin fest: Unter den vielen Männern der Ausstellung sind gerade mal vier Frauen zu sehen: geschlagen, geschwängert, verbannt, begraben und vergessen. 

Im Gespräch mit einer Freundin hört die Besucherin den Satz einer gemeinsamen Freundin, den diese bezüglich einer früheren DiMu-Ausstellung gesagt hatte: „Ja was hattest du denn erwartet?!“

Was hattest du denn erwartet?

Interessant wäre es, mehr darüber zu erfahren, wie Korbinians Nachfolger Arbeo/Aribo vorgegangen war beim Schreiben des Textes der „Vita Corbiniani“, der Lebensbeschreibung des Heiligen Korbinian. Anzuhören bzw. im Buch nachzulesen ist Arbeos Text auf der Seite des Historischen Vereins Freising: „Arbeo sah in dem um 720 in Freising wirkenden Korbinian die starke Gründergestalt für das junge Bistum Freising und förderte nach Kräften dessen Verehrung.“

Wünschenswert wäre es zu erfahren, was in Arbeos Text sich wirklich so zugetragen hat und was davon Legende ist. War Arbeos Werk eine Auftragsarbeit? Wenn ja: von wem, mit welchem Ziel? Hatte Arbeo die Geschichten um Korbinian inszeniert?

Aus Arbeos Text könnte man auch herauslesen, dass Korbinian weder Spielball noch Spieler der Mächtigen sein wollte, sondern vielmehr immer wieder Ruhe gesucht hatte – eine Ruhe, die ihm in Freising nicht vergönnt war (und ihm wohl auch im Jubiläumsjahr nicht vergönnt ist).  

Fragen über Fragen, Fragen über „Männer Macht Geschichten“ …

Ein Raum der Stille und der Zuflucht

Ich verlasse das Museum, lasse Ausstellung und die vielen Fragen hinter mir, atmet tief durch – und erhalte völlig unverhofft einen ganz anderen, versöhnlichen Blick auf Frauen am Domberg: auf die Künstlerin Kiki Smith und auf die von ihr gestalteten „The Chapel of Mary’s Mantle“: „… der Schutzmantelmadonna gewidmet, ist sie ein wunderbarer Ort der Kontemplation geworden, ein Raum der Stille und der Zuflucht.

Entstanden aus recycelten Dachziegeln einer alten Pfarrkirche hängt in der Kapelle ein blauer Mantel an einem Nagel:

Die Künstlerin betont: „Marias Mantel ist blau wie der Himmel, der die Erde umarmt.“ […] Angesprochen auf die goldene Skulptur des Heiligen Geistes in Gestalt einer Taube auf dem Kapellendach erklärte die Künstlerin: „Er sitzt eigentlich nicht, er fliegt gerade eben los.“ Zu den Sonnwenden, wenn das Licht exakt aus Westen komme, werde er weithin auf die Stadt Freising und das Land hinunter leuchten.
„Mir hat die Idee gefallen, hier eine Art Leuchtturm zu installieren.“

https://www.evangelische-zeitung.de/kiki-smith-kunst-und-katholische-kirchen-passen-gut-zusammen
Auf dem Domberg ein Ort der Stille und der Zuflucht, auch für Frauen:
eine Art Leuchtturm und ein Zeichen der Hoffnung

Nachtrag:

Ein Foto aus der Animation mit Korbinian, der auf die Frau einschlägt, wird hier absichtlich nicht gezeigt – die Beschreibung der Szene mag genügen; stattdessen ein neutrales Foto zum Rundgang der Ausstellung „Männer Macht Geschichten“.

Beitrag in der Süddeutschen Zeitung über widerspenstige Frauen in Freising am 19. Jan. 2024: https://www.sueddeutsche.de/muenchen/freising/freising-gute-stube-erzaehlfestival-auftakt-pallotti-haus-widerspenstig-geschichte-1.6335888

Beitrag in der Süddetschen Zeitung am 17. Mai 2024: https://www.sueddeutsche.de/muenchen/freising/freising-landesausstellung-korbinian-jubilaeum-dioezesanmuseum-1.7252751

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