Gewagt: „Redaktion und Lektorat“

In einer Zeit des coronabedingten Stillstands erreichte mich eine Anfrage und damit verbunden eine echte Herausforderung, die die Stille belebte, Schwung in meinen Alltag als freiberufliche Lektorin (bzw.: Redakteurin) brachte und mit vielen Kontakten, Anregungen und Aufgaben mein Leben sehr bereicherte. Es war eine spannende Zeit für mich seit Herbst 2021, als ich die Herausforderung angenommen hatte für einen Lehrauftrag am Zentrum für Buchwissenschaft (ZfB) der LMU München.

Unerwartete Anfrage und Herausforderung

Im Herbst 2021 erreichte mich per Mail die Anfrage meiner langjährigen Bücherfrauen-Freundin, Susanne Brudermüller, ob ich bereit wäre für einen Lehrauftrag zum Thema „Redaktion und Lektorat für Masterstudierende“ am Zentrum für Buchwissenschaft der LMU München. Sie selbst gebe schon länger als Lehrbeauftragte diesen Kurs und für den parallel stattfindenden Kurs werde aktuell eine neue Lehrbeauftragte gesucht. Im Telefongespräch erfuhr ich mehr über den Kurs und hörte dazu Susanne sagen: „Du bist mir sofort eingefallen, als ich nach einer geeigneten Person gefragt wurde. Du bist genau richtig dafür.“

Nach zwei, drei Tagen mit Überlegen und Gesprächen mit Mann und Sohn nahm ich den Kontakt auf Frau Dr. Helen Müller am ZfB. Mails wurden ausgetauscht, Telefongespräche geführt, ein Lebenslauf verschickt und ein Formblatt der LMU ausgefüllt. Auch Termine für die geplanten sieben Doppelstunden im Sommersemester 2022, von April bis Juli, wurden vereinbart.

Weitere Gespräche folgten, u. a. das sehr hilfreiche Gespräch mit der Zirndorfer Bücherfrau und VFLL-Kollegin Marion Voigt, die mir zunächst zum Lehrauftragt gratulierte und dann sehr hilfreiche Lektüretipps gab. Bei der Sichtung meines Bücherregals entdeckte ich weitere passende Titel – nicht besonders aktuell, im Endeffekt aber ebenfalls sehr ergiebig für meine Kursvorbereitungen. Schließlich besorgte ich mir einen Bibliotheksausweis für die Bibliothek der TU München-Weihenstephan und gab erste Fernleihe-Bestellungen auf.

Eingang der Universitätsbibliothek der TUM-Weihenstephan im Dezember 2021

Vorbereitungen

Ein Gespräch mit dem Vorgänger des Lehrauftrags zeigte mir, dass ich – als freiberufliche Schulbuch-Lektorin/Redakteurin mit Schwerpunkt Mathematik – den Kurs ganz anders halten würde als er, angestellter Lektor für Sachbuch und Wissenschaft beim Hanser Verlag München. Im Januar sollte ich ein Foto, einen Vorstellungstext und eine Beschreibung des Kursinhalts abgeben. Die ersten beiden Punkte waren schnell erledigt, die Kursbeschreibung jedoch verursachte mir manche schlaflose Nacht: Was sollte, was konnte, was musste ich als Inhalt angeben? Was hatte ich mit meinem beruflichen Hintergrund den Master-Studierenden weiterzugeben, was sie nicht eh schon längst wussten? Schließlich hatte ich einen Text verfasst und abgegeben, doch die Fragen, die ich mir selbst gestellt hatte, blieben offen.

Anfang April bekam ich meine „Bestellung als Lehrbeauftragte“ mit diversen Einweisungen der LMU. Wichtiger als dieses Formular war jedoch der Besuch von Susanne Brudermüller in meinem Büro. Von Susanne erfuhr ich viel über den Ablauf und die Organisation des Kurses. Das Wichtigste aber war: Susanne bekräftigte mehrfach, dass meine Art mit meinem ganz eigenen Hintergrund als freiberufliche Lektorin im Bildungsbereich authentisch und genau richtig sei und ich mich nicht mit ihrem Stil oder dem meines Vorgängers vergleichen und messen müsse. Diese Sicht: „Ich mache es auf meine Art mit!“, war so hilfreich und motivierend. Plötzlich entstanden Ideen, wie ich es angehen könnte.

Ebenfalls sehr hilfreich war das Gespräch mit Melissa, der Freundin unseres Sohnes, die mir aus Sicht einer jungen Frau mit Uni-Masterabschluss erzählen konnte, wie die heutigen Studierenden sind, was sie bewegt, was sie erwarten – und was ich von ihnen erwarten kann. Auch von ihr bekam ich eine nützliche Sichtweise mit auf den Weg: Sie erinnere sich gerne an eine Fortbildungsbeauftragte, die – gerade als Externe – einen ganz anderen Ansatz hatte als die langjährigen festangestellten Dozenten und die mit ihrem eigenen Blick Schwung in den Kurs gebracht hatte.

Diese Gespräche mit Susanne und Melissa ermutigten mich und verscheuchten Denkblockaden und machten den Blick dafür frei, wie ich den Kurs halten wollte.

Gut vorbereitet …

„Redaktion und Lektorat“ – die richtige Definition

Ich stellte es mir so einfach und logisch vor: Gleich zu Beginn würde ich im Kurs eine Definition für „Redaktion“ und für „Lektorat“ geben und die Unterschiede zwischen Redaktion und Lektorat aufzeigen. Leider war es dann doch nicht so einfach: Meine Recherchen zu den beiden Begriffen im Internet und in diversen Werken, dazu verschiedene Gespräche mit VFLL-Kolleginnen und der Blick auf „Lektorat von A bis Z“ und in den vom VFLL herausgegebenen „Leitfaden Freies Lektorat” zeigten mir, dass es keine einheitliche Definition und keinen allgemeingültigen Gebrauch der Begriffe gab. Zwei weitere Werke („Satz und Korrektur“, Brigitte Witzer, 2003, und „Berufsziel Lektorat“, Günther Fetzer, 2018) haben mir den Weg dafür gezeigt, wie ich in den ersten Kursstunden eine Arbeitsdefinition für „Redaktion“ und für „Lektorat“ und einen Überblick über die Workflows für die Abläufe im Verlag geben konnte, die wir später, im Laufe des Kurses, im Blick behielten und überprüften.

À propos Arbeitsdefinition: Bei meiner Recherche zum Thema „Schulbuchlektorat“ stellte ich fest: Meine Bezeichnung als „Lektorin“ ist unpassend, passender ist „Redakteurin“. Auch die Bezeichnung meines Arbeitsschwerpunkts „Schulbuch Mathematik“ ist zu ändern in „Bildungsmedien“. Also nicht mehr „Lektorin mit Schwerpunkt Schulbuch Mathematik“, sondern „Lektorin/Redakteurin mit dem Schwerpunkt Bildungsmedien für Mathematik“ (wen das Thema interessiert: hier mehr zu Bildungsmedien).

Über das Buch „Buchherstellung – Leitfaden für Verleger, Lektoren und andere Verlagsmitarbeiter“, das seit einer Verlagsfortbildung um 1995 mit Ralf Plenz in meinem Regal steht, entdeckte ich den interessanten Podcast „Der Büchermacher“. Einige der Podcasts (Nr. 73 bis 76) gehen speziell auf die Arbeit im Lektorat und auf die „Eigenschaften des idealen Lektors“ ein, und so ergab sich aus den Darstellungen in den Podcasts auch eine Aufgabe, die die Studentinnen im Kurs bearbeiteten und kreativ umsetzten, u.a. in Form einer Mindmap und einer Kinderbuchgeschichte.

Bücherschau zu Buchherstellung, Büchermachen, Lektorat, Redaktion, Satz und Korrektur …

Durchführung des Kurses: Technik und Ablauf

Ein neuer Laptop war fällig, auf dem ich meine PowerPoint-Präsentationen erstellen wollte – die erste PowerPoint-Präsentation meines Berufsleben (klar: wann muss frau denn als freie Lektorin im HomeOffice etwas vor einem Publikum präsentieren?). Die PowerPoint-Präsentationen gelangen mir so gut, dass ich am Kursende von meinen Studentinnen für die klar strukturierten Darstellungen gelobt wurde – da kann man schon ein bisschen stolz sein.

Auch die Anzeige mit dem Beamer im LMU-Raum in der Schellingstraße musste geübt werden – mein Dank geht hier an den netten Techniker, der mir geduldig gezeigt hat, was ich wie einstellen muss, damit die Vorführung sicher klappt.

Anfang April bekam ich die Namen der Studentinnen, die den Pflicht-Kurs besuchen wollten (bzw.: besuchen mussten), zugeschickt. Vermutlich wegen der etwas ungünstigen Uhrzeit mittwochs von 12 Uhr bis 14 Uhr hatte ich nur fünf Studentinnen, was für die Einarbeitung und für die Gespräche im Kurs sicher ein Luxus war. Bei einer Gruppe von 15 Studierenden wäre ich sicher angespannter in den Kurs gegangen. Alle zwei Wochen sollte der Kurs stattfinden, und so war ich ab April montags und dienstags mit Kursvorbereitung beschäftigt.

Eine grobe Idee für die Folge der Themen hatte ich, aber bei der konkreten Umsetzung ergaben sich Abweichungen von der ursprünglichen Idee. Dies führte dann dazu, dass die Abfolge eine in sich schlüssige Struktur bekam:

  • Von der Arbeitsdefinition für Redaktion/Lektorat ging es über zum Workflow im Verlag, inklusive Flussdiagramm und BPMB-Tool, schließlich zu den Aufgaben und den an Redaktion/Lektorat gestellten Anforderungen.
  • Nach einem Überblick über die Duden-Korrekturzeichen mit konkreten Korrekturaufgaben kam der Perspektivenwechsel vom Verlag zur Freiberuflichkeit.
  • Beim Thema „Freiberuflichkeit“ ging es von der nötigen Ausstattung (Büro, Website, Netzwerke …) über die Absprachen bei der Auftragsvergabe bis hin zur Frage nach einem angemessenen Honorar für Externe im Vergleich zum Honorar angestellter Lektor:innen/Redakteur:innen.
  • Zum Thema „Zusammenarbeit zwischen Übersetzerin und Lektorin“ hatten wir eine VFLL-Kollegin als Gast, die Übersetzungslektorin Regina Jooß, die auf die besonderen Aufgaben im Übersetzungslektorat hinwies und praktische Übungen mitbrachte.
Technik-Check

Rückblick – Fazit

Die festen Kurstermine, die ich nie wirklich in Frage stellte (trotz Bahnfahrt mit Maske, Mitte Juli bei fast 40°), führten dazu, dass ich aus der coronabedingten Trägheit in Schwung kam, aus dem Haus ging und mit dem Bus durch Schwabing fuhr. Auf keinen Fall will ich dabei meine Zeit in der Boulangerie Dompierre übergehen: Die Fotos an der Wand, die Musik, die Tische und Stühle, dazu der café au lait und das pain au chocolat erinnerten mich an mein Auslandssemester in Frankreich.

Die Gespräche mit den Kolleginnen waren inspirierend und belebend. Das Interesse der Studentinnen am Kurs und die Gründlichkeit und Kreativität, mit der sie die Übungsaufgaben lösten, haben mich begeistert. Spannend für mich war es festzustellen, dass ich scheinbar selbstverständliche Begriffe und Prozesse des Alltags neu betrachten und definieren musste und dass sich durch diese Überlegungen neue Sichtweisen für mich auftaten: „Lektorin“ oder „Redakteurin“? „Schulbuch“ oder „Bildungsmedien“? Angemessenes Honorar …

Der Rückhalt und die Unterstützung durch meinen Mann Stefan und die Gespräche mit ihm vor und nach meinen Fahrten nach München haben das ganze Unternehmen überhaupt erst ermöglicht und bereichert. Und du hattest recht, Susanne: Ich habe etwas weiterzugeben und es ist gut, wenn ich das auf meine Art mache.

Café au lait et pain au chocolat: Non, je ne regrette rien …

Epilog

Im Kurs hatte ich spaßeshalber auf das Oetinger-Buch „Angelika Kutsch erzählt vom Büchermachen“ von 1993 hingewiesen, in dem ein Mädchen mit einem Klassenkameraden dessen Mutter in den Kinderbuchverlag begleitet. Am Tag nach der letzten Kursstunde entdeckte ich in der Freisinger Stadtbibliothe das vor kurzem bei arsEdition erschienene Buch „Von der Idee zum Buch“, das gut zum „Workflow im Verlag“ gepasst hätte.

Bücher machen übers Büchermachen

4 Gedanken zu „Gewagt: „Redaktion und Lektorat“

  1. Georg Vollmer

    Sehr schön, Mirjam!
    Und ich hätte auch nie in Zweifel gezogen, dass du was zu erzählen hast – auf deine ruhige, sachliche, strukturierte Weise – Mathematikerin eben mit gutem Herzen!

    Georg

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