Anfang und Ende mit einem PUNKT

Ein Buch sollte drin sein in meiner Schultüte, ganz klar. Hatte ich überhaupt eine Schultüte? Egal – ein Buch gehörte selbstverständlich dazu zum Beginn meiner Schulzeit, damals, Mitte der 60er-Jahre. 

Ein dickes Buch mit spannender Geschichten hatte ich mir gewünscht. War es „Pinocchio“? Ich weiß es nicht –  denn bekommen habe ich das gewünschte Buch nicht. Stattdessen hatte mein Vater sich bei seinem Freund, Buchhändler Schneider von der evangelischen Buchhandlung in Heilbronn, beraten lassen, hat wohl selbst dort gestöbert – oder hat sonst woher die Empfehlung für dieses gerade neu erschienene Buch bekommen. Und er wurde fündig – ja, dieses Buch wollte er mir an meinem ersten Schultag mitgeben …

In meiner Erinnerung empfand ich damals das mir zugedachte Buch als Enttäuschung: ein Bilderbuch, keine richtige Geschichte, nur Punkte, Striche und nur ganz wenig Text – viel zu wenig Text für die Schulanfängerin, die bald lesen können wollte. Erst viele Jahre später habe ich erkannt, welchen Schatz ich bekommen hatte, und ich werde noch heute berührt von den einfachen Bildern und Worten des Buches „DER PUNKT“ des amerikanischen Autors Cliff Roberts, 1965 in der Übersetzung von James Krüss beim Verlag Friedrich Oetinger in Hamburg erschienen.

Wer das Buch selbst als Kind angeschaut und gelesen hat, dem klingen die vertrauten Worte – alle in Großbuchstaben geschrieben – im Ohr:

Ein_Punkt

Und weiter:

NUN ZIEH IHN LANG
DANN WIRD’S EIN STRICH

Und so entsteht aus einem runden Kreis, zwei Punkten und zwei Strichen schließlich ein Gesicht. Hinzu kommt eine – traditionelle – Familie: Vater, Mutter, Tochter, Sohn – mit Haus, ein Baum davor, in einer Stadt. Es kommen andere Städte und noch mehr Menschen dazu, und jeder ist anders und lacht und weint …

WIE DU

Schließlich sieht man die Menschen und Städte als Teil der Welt:

DIE WELT,
DIE SO GROSSMÄCHTIG PRUNKT,
DIE IST VON OBEN NUR
EIN PUNKT

Ich bin ihnen dankbar – dem Autor Cliff Roberts, seinem Übersetzer James Krüss, dem Oetinger Verlag, dem Buchhändler Schneider und meinem Vater – für diese wunderbare Einführung in die Welt der Bilder, Menschen und Städte, der Buchstaben, Worte, Texte und Bücher.

(Zitate aus: Cliff Roberts: DER PUNKT, Verlag Friedrich Oetinger, Hamburg, 1965, aus dem Amerikanischen übertragen von James Krüss)

(Foto: (c) 2016 by Mirjam Heintzeler)

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